Man mag sich in Zürich über die vielen Baustellen ärgern, eine bereitet Freude und setzt am Bahnhof Stadelhofen ein neues architektonisches Wahrzeichen: Das neue Haus zum Falken. Entworfen vom spanisch-schweizerischen Stararchitekten Santiago Calatrava. Die Entstehungsgeschichte des filigranen und gleichzeitig wuchtigen Baus.
11. November 2025 von Ueli Haller, Senior Texter/Konzepter
Tschüss, Mandarin (sniff)
Ich gestehe: Als das Café Mandarin 2018 seine Pforten schloss, hat mich das schon etwas wehmütig gestimmt. Nicht wegen des Riz Casimir, der sich im Mandarin hartnäckig auf der Speisekarte gehalten hat, sondern wegen der authentischen 70er-Jahre-Atmosphäre und einem China-Brunnen als exotisches Dekor. Das Mandarin war schlicht eine Institution. Ein Hafen der Gelassenheit direkt neben einem der hektischsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Der Hafen ist nun weg, an seiner Stelle steht nun eine gestrandete Hochseeyacht. Dazu später mehr.
Stadelhofen – einer der faszinierendsten Orte Zürichs
Der Stadelhofen zählt in der Stadt zu den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten. Täglich nutzen ihn 80'000 Passagiere, 770 Züge verkehren hier täglich. Gleichzeitig entsteht hier, was nur die wenigsten mitbekommen: die vierte Röhre. Nicht sichtbar, aber parallel zu Calatravas markanter Überdachung entsteht ein viertes Gleis tief im Hügel. Nationalrat und Ständerat haben 2019 einem umfassenden Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen für 900 Millionen Franken zugestimmt. Ein unterirdisches Meisterwerk der Ingenieurskunst, das die Verkehrskapazität um 50 Prozent steigern wird. Aber zurück zum Sichtbaren: dem neuen Haus zum Falken – einem eindrücklichen Geschäftsbau, realisiert vom spanisch-schweizerischen Stararchitekten Santiago Calatrava.
Wie passt da eine Baustelle rein?
Als Agentur befassen wir uns mit einfachen und auch sehr komplexen Kommunikationsherausforderungen. Auch wir bewältigen Baustellen, indem verschiedene Spezialist*innen gemeinsam eine Lösung erarbeiten – manchmal auch mit diffizilen Voraussetzungen. Genauso herausforderungsreich – wenn auch in einem ganz anderen Bereich – waren die challenges der Baustelle Haus zum Falken. Wie baut man mitten in diesem neuralgischen Verkehrsknotenpunkt? Auf der einen Seite das geschwungene Perrondach aus Glas, auf der anderen die Kreuzbühlstrasse mit zwei Tramlinien, der Forchbahn, Auto- und Veloverkehr – dazwischen eine 12 Meter tiefe Baugrube. Zudem erschwerend: Auf beiden Seiten der Baustelle hat es die Hochspannungsleitungen von Tram und Zug. Die Bauarbeiter errichteten deshalb ein Dach aus Holz, um die Kabel zu schützen. Gleichzeitig musste die tiefe Baugrube trocken gehalten und alles abgedichtet werden, da der Grundwasserspiegel relativ hoch liegt. Es war beeindruckend, wie das Projekt mit Bauingenieurskunst und logistischer Präzision realisiert wurde. Das Hochziehen des Geschäftshauses am Rande des wuseligen Bahnhof Stadelhofen hatte etwas Beiläufiges, Unauffälliges. Baulärm? Erstaunlich wenig. Das lauteste während der Konstruktionsphase war die riesige Werbeplache am Gebäude, auf der verschiedene Brands ihre Produkte und Dienstleistungen auf den Stadelhoferplatz hinausschrien.
Geripptes, ziehharmonikaartiges Glas-Aluminium-Kleid
Das Haus zum Falken ist architektonisch durchaus gewagt. Im Zürcher Gemeinderat reichte die Palette der Bezeichnungen von «Hochseejacht» bis zu «gestrandeter Wal» – je nach persönlicher Haltung zu der spektakulären Architektur. Die Baubewilligung beschreibt das Gebäude überraschend poetisch als Bau mit «einem gerippten, ziehharmonikaartigen Glas-Aluminium-Kleid». Wir konnten bei GRIP den Baufortschritt von 2022 bis 2025 stetig mitverfolgen. Was schon auf den Visualisierungen beeindruckend aussah, präsentiert sich nach der Fertigstellung fast noch eindrücklicher. Von aussen erscheint der Bau filigran und gleichzeitig wuchtig, innen wirken die im Rohbau noch offenen, weitläufigen Raumlayouts mit ihren Streben durchsetzten Glasfronten transparent und futuristisch, wie uns ein Rundgang für Anwohnende und Interessierte vor dem Endausbau vor Augen führte.
Der Kreis schliesst sich
Ich finde den Bau grossartig. Nicht nur architektonisch, sondern wegen eines historischen Kreises, der sich mit der Fertigstellung schliesst: Der Bahnhof Stadelhofen war der erste grosse Wettbewerb, den Santiago Calatrava 1983 zusammen mit seinem Kollegen Arnold Amsler gewonnen hat. Von hier aus ging es weiter nach Lyon, Lissabon und New York. Jetzt, über 40 Jahre später, kehrt er an den Ort zurück, wo alles begann. Und setzt mit dem Haus zum Falken neben dem Bahnhof ein erneutes Wahrzeichen.
11. November 2025 von Ueli Haller, Senior Texter/Konzepter
